Bildserie Dennis Schwabenland 2014

Berner Kennzeichen. Ein roter VW-Bus. Mit 140 Sachen Richtung Norden, wir haben gerade die Grenze überfahren. Es ist Ende Oktober 2014 und ich reise mit meinem Team ins 800 Kilometer entfernte Leipzig. Dort spielen wir unsere zehnte, elfte und zwölfte Vorstellung unserer neuen Theaterproduktion «FIGHT! Palast #membersonly». Vor etwas mehr als vier Wochen haben wir damit bereits im Schlachthaus Theater Bern Uraufführung gefeiert. Jetzt bringen wir Bern über die Schweizer Grenzen hinaus, nein, um genauer zu sein: Ein wenig Matte in die Welt.
Mein Theaterkollektiv heisst PENG! Palast. Gegründet wurde die Gruppe 2008 von Benjamin Spinnler und mir, Dennis Schwabenland. Ich bin Mattebewohner seit über sechs Jahren. Benni und ich kennen uns aus der Zeit an der Hochschule der Künste Bern, der Schauspielschule in Bern, die damals noch im Sandrain war. 2009 kam ein weiterer Berner hinzu, der Schauspieler Christoph Keller. Nach 4 Jahren Studium hatten wir ein Anliegen: Wir wollten Theater machen, dass keine Berührungsängste schafft und diejenigen als Zuschauer einladen, die normalerweise nicht gerne ins Theater gehen.
Dazu wählten wir eine Sprache, die nicht gestelzt daher kommt und die uns aus der Seele spricht. Wir arbeiten uns thematisch oft an einer Vorlage aus der Weltliteratur ab, wie zum Beispiel einem Woyzeck von Georg Büchner oder Hamlet von William Shakespeare, nehmen Romane, wie im letzten Projekt Fight Club von Chuck Palahniuk. Dem gegenüber machen wir persönliche Recherchen in unserem Alltag- und Arbeitsleben und versetzen die Vorlagen in unsere heutige Zeit.
In einem Interview für den Bund habe ich mal beschrieben, dass wir Theater von unten mit Risiko machen. Wir orientieren uns dabei an der Philosophie, dass Theater ein Geschichtenerzählen ist, das nicht im Elfenbeinturm stattfindet. Geschichten kann und möchte auch jeder erzählen und wenn man Theater macht, hat man die Möglichkeit, diese in grössere Zusammenhänge zu setzen. Wir alle befinden uns in Lebensumständen, mit denen wir viel über unsere Zeit erzählen können. Somit auch politisch sind, ohne, dass man nach dem Politischen suchen muss. Wir alle sind Experten für unsere Zeit und wenn wir uns ein wenig mehr Gedanken über unsere Zeit machen, Gegebenheiten hinterfragen, und uns Allen einen Spiegel vorhalten, können wir vielleicht ein kleines Stück dazu beitragen, die Umstände, in denen wir uns befinden besser wahrzunehmen.
Es ist vielleicht gerade das, was unsere Stücke nicht moralisch und belehrend erscheinen lässt: Dass wir uns selber nicht herausnehmen aus den Umständen, die wir beschreiben. Wir überlassen es dem Zuschauer, zu überprüfen, in welchen Zusammenhängen er sich selbst sieht.
Mein Leben in der Matte, beeinflusst mich also sehr, um Theater zu machen. In der Matte wird Gemeinschaft gelebt. Ich treffe auf der Strasse sehr oft Freunde, Bekannte und Kollegen. Nicht nur Künstler, die wirklich zahlreich in der Matte ein- und ausgehen, nein, auch neue Bekanntschaften, die ich geschlossen habe und so gibt mir manchmal ein Schwatz im Matteladen oder in der Buchhandlung «Einfach Lesen» die Möglichkeit, die Dinge ein wenig anders zu sehen. Jedes Gespräch beeinflusst mich, lässt mich über meine Lebensumstände ein wenig anders nachdenken und gibt mir das Gefühl von Zu-Hause-Sein.
Der Philosoph und ebenfalls in der Matte wohnende Gerhard Lischka hat in einer Performance einer Gruppe von Leuten, zu der ich mich auch zählen durfte, einmal alle Wege aus der Matte in den Berner Innenstadt-Trubel gezeigt. Mir waren zwar alle Treppen bekannt, aber die Geschichten die er beim Hochsteigen erzählt hat, haben mich auf den Gedanken gebracht: Jedes mal, wenn ich mein geschütztes Mattedorf verlasse und aus der inspirierenden Ruhe und Abgeschiedenheit raus in die Welt gehe, fällt es mir leicht in der ganzen Hektik, sei es im Feierabend-Verkehr von Bern am Bahnhof oder eben mit dem VW-Bus auf den Autobahnen in der Schweiz oder woanders in Europa, die Dinge klarer zu sehen. Denn nur wenn man ein Stück heraustreten kann aus dem Kuchen, der einen umgibt, erkennt man die Dinge klarer.
Unsere letzte Produktion befasste sich mit dem Phänomen, dass wir in unserer heutigen Zeit immer mehr zu «Ichlingen» werden. Zu Hause in unseren eigenen vier Wänden vereinsamen und nur noch über Touchscreen vermeintlich sozial sind, wie zum Beispiel über sogenannte Social Media. Und wir merken oft nicht, dass Facebook und Co. mehr Distanz schafft, nicht nur andern gegenüber, sondern auch von uns selbst. Dadurch, dass Beziehungen immer mehr abkühlen und wir die Gemeinschaft nicht suchen, finden wir persönlich nicht mehr heraus, wer wir eigentlich sind.
Und so kann auch da das Gemeinschaftsleben in der Matte dazu beitragen, dass wir uns wieder ein wenig mehr finden. Und so wünsche ich mir persönlich noch ein wenig mehr von dem. Macht aus der Matte eine Begegnungszone. Der Poller ist vielleicht ein erster Schritt dazu. Ich würde mir wünschen, dass die Matte ein Ort wird, in dem man zu Fuss durch die Gassen schlendern kann. Ein Ort, wo man sich auf der Strasse trifft, austauscht, quatscht schwatzt, tanzt, lacht feiert. Es ist der Fussgängerzulauf, der die Matte beleben wird und nicht der Autoverkehr. Schliesst den Poller auch über den Tag, es gibt mit der jetzigen Lösung genügend Wege für Anlieferungen. Denn so kann man nur hoffen, dass noch mehr Begegnungsorte entstehen, neue Cafés neue Läden, die alten Läden zu Stützpfeilern werden eines lebendigen Quartiers. Und man kann hoffen, dass wieder mehr Orte entstehen, wo auch die Jugend und das Nachtleben wieder mehr einzieht.
Und so sitze ich nun im VW-Bus, mein Laptop auf dem Schoss und ich schreibe diese Zeilen. Ich sehe die Welt am Fenster vorbeirauschen. Und zwischen LKWs und Autobahnrasern halte ich auf dem Beifahrersitz kurz inne und ziehe mich in meine Gedankenwelt zurück, schliesse meinen Laptop und meine Augen und denke an unser Quartier, die Matte, die ich nach so kurzer Zeit schon wieder vermisse. Öffne die Augen und freue mich mit meinen Kollegen im Auto ein wenig Matte in die Welt mitzunehmen.

Dennis Schwabenland

 


 

PENG! Palast entwickelte 2008 & 2009 die Stücke Hamlet MASSIV und and now go home and change your underpants. Mit dem Stück Woyzeckmaschine gewann PENG! Palast 2009 den renommierten Schweizer Nachwuchspreis für Theater und Tanz PREMIO. Ihr Stück Götter der Stadt oder Die 120 Tage von Sodom feierte Ende September 2010 im Schlachthaus Theater Bern Premiere.
Ende 2010 wurde PENG! Palast in Würdigung ihres mit grosser Professionalität und beachtlichem Erfolg umgesetzten Anliegens, junge Leute für das Theater zu begeistern mit dem Jugendpreis der Burgergemeinde Bern ausgezeichnet. Hier gibts ausführliche Informationen über die Projekte
www.pengpalast.ch