W: Herr Wittwer
F: Stefan Flury
S: Schüler der 5./6. Klasse

W: Ich bin schon lange an dieser Schule. Bald 50 Jahre. 1967 habe ich angefangen. Ich bin schon lange pensioniert. Als ich angefangen habe, da gab es nur 2 Klassen. Eine Klasse hatte oben an der Postgasse Unterricht. Es war gar noch nicht eine Schule. Die zweite Klasse war in dem rosa Gebäude, wo jetzt die Bibliothek und das Singzimmer sind. Zwei Jahre später haben wir ein Haus, bekommen. Das war das Haus in dem heute der Kindergarten drin ist, das war 1969. Dann wurden es drei Klassen. Dann wurde die Schule immer grösser und irgendwann sind wir in dieses Schulhaus hineingekommen. Das ist die Geschichte. Und früher waren es alles schwerhörige Kinder. Als Lehrer hatte ich ein Pult und jeder Schüler hatte einen Kopfhörer auf und ein Kästchen, mit dem er die Lautstärke einstellen konnte. Wenn er schlafen wollte, hat er es auf leise gestellt, wenn er aufpassen wollte auf laut. Und ich konnte alles steuern. Und wenn ich einen nicht mehr hören wollte, konnte ich es ausschalten.
Praktisch, oder?

Wann haben Sie mit Ihrer Arbeit an der Sprachheilschule begonnen?

W: Vor 49 Jahren.

Waren Sie schon immer Schulleiter?

W: Ja, ich habe angefangen, diese Schule aufzubauen und wurde so Schulleiter.

F: Aber eigentlich hattest du eine Ausbildung als Lehrer?

W: Als Heilpädagoge und Logopäde und Schwerhörigen- Lehrer und…

F: Ganz viel.

W: Ganz viel. Aber weil es so klein war, war ich nicht nur Schulleiter. Ich habe immer noch Schule gegeben und Logopädie und Schulleitung, alles miteinander.

S: Kurz eine andere Frage, hat es das Mikrofon damals schon gegeben?

W: Ja, ich hatte sogar einen Deckel. Wenn ich den aufgemacht habe, waren da ein wunderschönes Tonbandgerät drin und ein Plattenspieler. Das war mein Stolz.

S:Welches war ihr schönstes Erlebnis als Schulleiter?

W: Meine Abschiedsfeier, die ich hier hatte. Meine Leute hier, meine Kolleginnen und Kollegen haben mir ein wunderschönes Abschiedsfest gemacht. Wir gingen noch an einen Ort, an dem jemand Märchen erzählte. Wir haben gut gegessen. Es war ganz ein schönes Fest. Vorher gab es natürlich auch schöne Momente, aber das ist mir gerade in Erinnerung geblieben.
(Zeigt Foto der 1. Klasse, die er dabei hatte vom Bubenbergrain)
Das ist die erste Klasse, die ich hatte am Bubenbergrain. Darauf seht ihr, die Kopfhörer. Die sind alle an den Pulten aufgehängt, mit einem Mikrofon davor. Und der Junge hier vorne, der trägt einen Hörapparat. Damals waren Hörapparate noch nicht so elegant. Heute gibt es ja solche, die sieht man gar nicht mehr. Sie hatten nämlich so ein Hörgerät, das ins Ohr hinein ging mit einem Kabel. Und vorne in einem Säcklein, dass die Mutter gestickt oder genäht hatte, steckte das Hörgerät. Und beim Turnen fiel es manchmal raus, das war nicht so praktisch. Und man konnte es noch nicht so gut einstellen früher. Und ich trug immer eine weisse Schürze. Ich weiss nicht mehr warum, das war damals etwas Mode. Wie ein Zahnarzt oder ein Doktor. Wo ich vorher gearbeitet hab, da hatten alle Lehrer weisse Schürzen angehabt. In der einen Tasche hatte ich Stifte und in der anderen Kreide.

F: Wie muss es wohl gewesen sein, im Turnunterricht ein Hörgerät tragen zu müssen?

S: Nervig.

S: Es geht kaputt.

W: Ja es ging häufig kaputt. Sie hatten es auch nicht immer an. Zum Beispiel trugen sie es nicht, wenn sie einen Purzelbaum machten. Diese Kinder sind heute schon pensioniert und haben Familie und Kinder. Es gibt hier auch Kinder, deren Eltern schon hier an der Schule waren.

Welches war das schlimmste Erlebnis?

Einmal haben wir einen Schüler verloren. Wir waren gratis im Zirkus Knie. Und dann fanden wir einen Schüler nicht mehr. Es hatte viele, viele Leute. Wir mussten ihn suchen und ich hatte Angst, dass er vielleicht gekidnappt wurde. Die Eltern hatten Angst. Am Ende haben wir ihn zum Glück wiedergefunden. Er war irgendwie weggelaufen und hatte sich verirrt. Und dann hat man ihn gefunden und wir waren froh. Aber es ging lange. Er hat geweint und wir waren alle froh. Es ist schlimm, weil man die Verantwortung hat. Wir hatten mal einen Schüler aus Worb, dem ist es an der Schule verleidet und dann ist er mit dem Bähnli nach Worb gefahren. Er setzte sich auf ein Bänklein beim Bahnhof und wartete auf seinen Vater. Als 1.Klässler hat er den Weg gefunden durch die ganze Stadt und aufs Bähnli!

S: Gibt es den Zirkus Knie schon so lange?

F: Den gibt es schon seit 100 Jahren, so alt ist Herr Wittwer noch nicht.

W: Ich könnte vielleicht etwa euer Grossvater sein.

S: Wie alt sind Sie?

W: 77, ich werde 78 dieses Jahr. Wie lange gibt es die Sprachschule schon?

W: Das hängt von der Definition ab. Die „Schwerhörigen -Schule“ gibt es seit 49 Jahren. So hat sie zuerst auch geheissen. Das war 1969 am Bubenbergrain. Danach hiess sie ein Zeitchen „Schwerhörigen- und Sprachheilschule“, weil es keine schwerhörigen Kinder hatte. Und dann hiess sie Sprachheilschule. Jetzt hat es nur noch vereinzelt schwerhörige Kinder. Was war früher an der Schule anders? Die Schule war noch viel kleiner als heute. Die Schülerzahl in der Klasse ist heute noch etwa gleich, so zwischen 8 und 11. Logopädie und Psychomotorik gibt es immer noch. Hier im Haus wohnte meist noch ein Abwart. Das da drüben war seine Wohnung. Sie hatten noch einen Hund. Und eine Katze hatte er, die einmal aus dem Fenster gehüpft ist, hier runter.

Was war eigentlich noch anders?

F: In Gesprächen mit Lehrerkollegen/innen, wird oft erwähnt, dass wir früher mehr Freiheiten hatten. Die Kinder wurden weniger gestresst als heute. Das liegt daran, dass wir die gleichen Hörmittel haben wie die normale Schule. Und weil viele Schüler immer wieder zurückgehen, müssen wir schauen, dass die, die zurückgehen wollen, zurückgehen können. Das heisst, dass man im Franz, in Deutsch, in Mathe, immer ungefähr dort ist, wo die Anderen vielleicht auch sind. Früher haben wir oft so drei bis vier Theater gespielt. Wir wollen wieder einmal ein Theater aufführen. Das sind alles Dinge, für die nicht mehr so viel Zeit ist. Dafür haben wir aber jetzt Lager. Die gab es eine Zeit lang nicht mehr.

W: Skilager und Sporttage hatten wir auch. Einmal waren wir in einem Skilager. Da hatte es in Bern Schnee und wir gingen auf den Chaumont. Der Chaumont, das ist ein Berg in der Nähe von Neuenburg, so ein „Hoger“ wie der Gurten. Und dann hatte es dort oben keinen Schnee, nur an einem kleinen „Börtli“. Und am ersten Tag hat sich da ein Junge direkt das Bein gebrochen.

S: Gab es bei Ihnen manchmal Kinder, die nicht so gut Ski fahren konnten?

W: Jaja. Die konnten dann schlitteln gehen. Es gab auch Lehrer, die nicht so gut Ski fahren konnten. Die sind dann mit den Kindern schlitteln gegangen.

S: Aber wie haben Sie das gemacht mit den schwerhörigen Kindern?

W: Ja, das war schwierig, denen konnte man nicht rufen. Auch wenn man auf eine Schulreise ging oder so. Da musste man schon aufpassen.

S: Und wenn sie umgefallen sind und das Gerät kaputt ging?

W: Das durfte nicht nass werden. Zum Skifahren haben sie es vielleicht nicht getragen. Das war zu heikel. Beim Duschen mussten sie es auch ausziehen, sonst gab es technische Probleme.

F: Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge: Sprachheilschule und Gehörlosenschule. Und heute gibt es eben ganz viel andere Möglichkeiten, den Kindern, die schwerhörig auf die Welt kommen, zu helfen. Die Kinder, bei denen man merkt, die hören nicht gut, die werden heutzutage meistens schon noch bevor sie einjährig sind so operiert, dass man ihnen helfen kann.

W: Und sie haben schon viel früher bessere Hörgeräte. Das mit den Mikrofonen und Kopfhörern, das braucht man heute nicht mehr.

War die Sprachheilschule immer in diesem Schulhaus?

W: Wie gesagt, sie war zuerst am Bubenbergrain. Und danach kamen sie dann hierher. Es gab eine Zwischenzeit, als ein Teil der Schule noch drüben war. Ich als Leiter war noch in diesem Haus am Bubenbergrain und ein Teil war schon hier. Nur eine Klasse, die Oberstufe 7. -9. war in diesem Zimmer hier. Aber dann gab es noch viel mehr Primarklassen von der Matte. Wir waren vermischt damals noch.

F: Und jetzt gehen wir raus und die Primarschule kommt wieder ganz. Sprachheilschule

W: Wo geht ihr denn jetzt hin?

F: Ins Wankdorf. Hinter das Stade de Suisse, da wo das Abend-Tech gewesen ist, in dieses Haus. Das wird für uns bereit gemacht.

Was denken Sie zum Umzug der Sprachheilschule ins Wankdorf?

W: Für mich ist das ein Abschnitt. Ich war sehr gerne in der Matte gewesen. Ich hab die Matte überlebt, über all die vielen Jahre. Früher war es in der Matte noch anders. Da gab es eine Metzgerei, eine ganz gute Bäckerei…Wenn ihr dort durchgeht, seht ihr an einem Ort immer noch den Schriftzug: „Bäckerei, Konfiserie“ und wenn man ganz gut schaut, heisst es noch verdeckt „Hirsbrunner“. Dann gab es einen Kiosk. Es war ganz anders in der Matte als jetzt. Es hat sich ziemlich verändert. Wir hatten auch eine Frau, die im Schulhaus putzte und in der Schifflaube in einer Wohnung wohnte. Die musste dann nach Italien zurück, weil die Wohnung viel zu teuer wurde. Es hat sich ziemlich viel verändert in der Matte in all diesen Jahren. Und für mich, wenn die Schule mal auch nicht mehr hier ist, dann ist diese Zeit für mich abgeschlossen. Weil bis jetzt habe ich immer noch ein wenig die Leute gesehen und das Haus hier. Manchmal schaue ich noch vorbei.

Gefällt Ihnen das Mattequartier?

W: Ich bin immer mit dem Zug von Münsingen gekommen. Mir hat es gefallen, am Morgen hier herzukommen, das war schön. Am Morgen, hab ich das Gefühl, war es in der Stadt noch ruhig. Das mochte ich. Aber wohnen hätte ich hier nicht wollen. Wegen dem Verkehr. Es hat hier oft sehr viel Verkehr. Ich weiss nicht, wie es heute ist, aber früher hatte es sehr viele Autos hier, auch viele Sanitätsautos. Die kamen hier durch, weil die Matte eine Verbindung war zum Inselspital. Und dann mussten die Kinder natürlich schauen gehen. Das hat mich etwas gestört.

Haben Sie Überschwemmungen erlebt? Bitte erzählen Sie uns davon.

W: Ja, ich habe auch die Überschwemmung hier erlebt. Da konnte man Schiffli fahren in der Matte. Das war in meinem letzten Schuljahr gewesen. Wir durften nicht mehr ins Schulhaus hinein. Aber wir hätten Sachen holen müssen. Dann mussten wir für zwei Wochen in ein anderes Schulhaus, wo es leere Schulzimmer hatte und zwar ins Tscharnergut. Ich hatte keine Freude. Und als wir wieder ins Schulhaus konnten, hat es gestunken. Alles war feucht, und der Abwart hatte im Keller einen Musikkeller. Alle Instrumente waren kaputt. Und im Papierkeller schwammen die Blätter rum und alles war nass und schwer und hat „gnüechtelet“. Das war schlimm. Zum Teil mussten wir einen neuen Boden rein machen. Alles war ganz nass.

F: Am Morgen um halb 4 hat mich die Frau Jaun angerufen und gesagt: „Die Matte ist überschwemmt, ihr könnt gar nicht in die Schule.“ Und dann hab ich überlegt: Wann muss man jetzt die Leute wecken? Dann hab ich ungefähr um 6 Uhr diesen Leuten angerufen und die sind dann gar nicht hierher gekommen. Aber wir Lehrer mussten am Montag- und Dienstagmorgen herkommen und am Mittwoch hatten wir Schule im Tscharnergut draussen. Ich weiss noch, wir konnten gerade noch ins Schulhaus rein und sind mit Harassen voller Hefte raus. Ich habe sie ins Auto geladen. Dann gingen wir zum Tscharnergut und gingen da vorbereiten und arbeiten.

S: Können wir das wiedermal machen?

F: Frag mal die Aare, ob sie wiedermal überschwemmen will.

W: Und einmal hat es auch gebrannt hier unten. Drei oder vier Häuser nebeneinander haben gebrannt. Wir haben den ganzen Morgen dem Feuer zugesehen, wie die Dächer zusammengefallen sind und wie die Feuerwehrmänner das Feuer löschten.

Was hatten Sie als Kind in der Schule am liebsten?

W: Deutsch hatte ich gerne, schlecht bin ich im Rechnen gewesen. Da schimpften meine Eltern mit mir. Aber später bin ich dann besser geworden. Sprache hatte ich gerne.

Welches war Ihr schlimmstes Erlebnis als Kind?

W: Einmal wurde ich verprügelt von einem grösseren Jungen und ich konnte mich nicht wehren als Kind. Ich musste Milch holen gehen. Das musste man als Junge manchmal machen. Ich hatte so ein Milchkesseli bei mir. Und dann kam so ein grosser Junge und hat mich verprügelt. Die Milch ist ausgeleert und ich musste nach Hause gehen und sagen, dass ich keine Milch und kein Geld mehr hatte. Das ist mir noch in Erinnerung geblieben, das muss schlimm gewesen sein.

Welches war ihr schönstes Erlebnis als Kind?

W: Vielleicht als ich vernommen habe, dass ich die Sek-Prüfung bestanden habe. Früher ist man die 1., 2., 3., 4. Klasse in die Primarschule gegangen und dann musste man eine Prüfung machen. Wenn man rein kam, dann wurde einem das mitgeteilt. Ich weiss noch, wie ich nach Hause gelaufen bin. Und dann war meine Grossmutter am Gartentor, winkte und rief: „Du bisch de inecho!“ Und ich war ganz glücklich.