Elisabeth Aebischer und ich treffen uns zu einem gemütlichen Schwatz im Ligu Lehm. Trotz einigen Regentropfen, die glücklicherweise schnell vorbeiziehen, setzen wir uns nach draussen.
«Wer ist Elisabeth? «Dies ist meine erste Frage. Etwas erstaunt sieht sie mich an und ihre Stirne zieht sich in Falten. Sie überlegt einen Moment, bevor sie antwortet. «Ich bin interessiert an Menschen, die anders sind, die nicht einer Norm entsprechen. Es kann ein Bettler sein dem ich einen kurzen Augenblick in die Augen schaue, ältere Menschen, die ihr Leben gelebt haben. Es gibt hier in der Matte zahlreiche alte Leute, die schon lange im Quartier leben und, denen ich oft begegne. Ich kenne viele hier unten, natürlich nicht alle mit Namen. Eine alte Frau, der ich oft begegne, war sehr gerührt, als ich ihr das Du anbot. Sie meinte nur «Auf das habe ich schon lange gewartet, dass Sie mich mal ansprechen. Die alte Frau strahlte mich an, dies berührte mich tief in meinem Herzen.»
Elisabeth Aebischer ist eine Frau, die weiss was sie will, aber auch weiss, was sie nicht will. Ich empfinde sie als eher vorsichtig und auch behutsam. Respektvoll gegenüber andern und mitfühlend, streng und fordernd, wenn es notwendig ist. Seit mehr als 32 Jahren ist die ausgebildete Heilpädagogin schon in der Matte tätig und sie ist nicht wegzudenken von der Sprachheilschule. Integration ist ihr ebenso wichtig, wie der Respekt vor andern Menschen. «Ich bin gerne in der Matte und auch in der Sprachheilschule, ich mag es hier zu sein.»

Drei Porträts Elisabeth Aebischer

«Was ist das Besondere an der Sprachheilschule und in der Regelklasse als Musiklehrerin zu arbeiten» , will ich wissen.
«Ich kann individuell arbeiten und auf die Kinder eingehen. Es ist für mich spannend, zu verfolgen, wie sich die Kinder entwickeln. Manchmal ist es allerdings schwierig, das Richtige zu tun und zu erkennen, was ein Kind tatsächlich braucht. Wenn ein Kind seine Erstsprache nicht sicher lernt, ist oft eine Zweitsprache sehr schwierig zu erlernen. Oft ist es so, dass Kinder, die noch in der Sprachentwicklung stehen und aus ihrem Land flüchten mussten, traumatisiert sind. Das sind dann Kinder, die keine Erstsprache erlernt haben, weil sie aus ihrem Umfeld heraus gerissen wurden. Unsere Aufgabe ist es, dies zu erkennen und mit den Kindern zu arbeiten. Es reicht nicht, einem Schüler beispielsweise einen unbekannten Buchstaben zu lehren, dies wäre zu einfach. Es geht darum, den Schüler und seine Sprache in seiner Ganzheit zu erfassen.»
Für Elisabeth Aebischer ist es eine Herausforderung mit Kindern zu arbeiten, die sich nicht einfach integrieren lassen. Für Elisabeth ist es ebenso notwendig diese Kinder so zu fördern, dass sie ihren Alltag, ihr Leben selbstständig leben können. Es ist zugleich wichtig, dass sie das Umfeld der Kinder, vor allem die Eltern, mit in den Entwicklungsprozess mit einbeziehen kann.
Sie erzählt mir folgende Geschichte: Ein Knabe war in ihren Augen auffällig, nicht einfach zu integrieren. Er erschloss seine Welt durch Stören, durch Aufmerksamkeit ergattern. Er musste immer wieder fragen, um sich einen Wortinhalt zu erschliessen, was eine Unterrichtsstörung zur Folge hatte. Die andern nervten sich, wenn ich ihm immer wieder etwas erklären musste. Es war ein Hilfeschrei, denn im Grunde seines Herzens war er froh, dass er gehört wurde. «Einmal sagte er, als ich ziemlich streng zu ihm war: «Du bist böse Frau Aebischer». Böse und streng waren für ihn das gleiche. Ich antwortete nur: «Ich habe dich gern.» Da meinte er trocken: «Ich muss darüber nachdenken.» Dies war für mich ein Zeichen, dass ich ihn erreichen konnte und er absolut förderungswürdig ist, wie übrigens jedes Kind.»
Eine andere Geschichte: Bei Migrationskindern ist es oft auch bedeutungsvoll, wenn ein neutraler Übersetzer dabei ist und nicht die Mutter oder der Vater übersetzt, denn diese sind meist nicht objektiv und übersetzen nur das, was ihnen gerade passt. Der neutrale Übersetzer hatte in einem Fall einiges zur Klärung beigetragen und das Verhältnis zwischen Sohn und Vater verbesserte sich merklich und auch in der Schule machte der Bub grosse Fortschritte.
Themenwechsel: «Was gefällt dir in der Matte?»
«Der Bach» , sagt sie spontan. «Das überschaubar Kleine, man kennt sich, auch wenn ich nicht alle mit Namen kenne. Ich weiss zumindest, dass sie in die Matte gehören. Die Schule ist an einem tollen Ort in der Matte. Wald, Längmuur, Bärenpark, Tierpark, Theater, Museen ist alles so nah, besser kann man es hier gar nicht haben» , meint sie lächelnd.
«Kannst du dir vorstellen, an einem andern Ort zu unterrichten als hier in der Matte?»
Sie wird nachdenklich. «Ich glaube nicht, ich würde es auch schade finden, wenn die Schule tatsächlich aus der Matte wegziehen müsste. Klar, das Musikzimmer ist wirklich klein, ist aber besser als nichts» , sagt sie fröhlich. «Es wäre für mich eine echte Herausforderung aus der Matte zu ziehen und ich würde es sehr bedauern. Die Räumlichkeiten sind ein Teil - aber das Umfeld hier zu verlassen wäre wohl viel härter.»
«Was stört dich persönlich in der Matte?»
«Was mich stört? Dass der Spielplatz vom Matteschulhaus auf der andern Strassenseite liegt, dass die Kinder immer wieder über die Strasse müssen. Die Platzknappheit, wie schon erwähnt, ist etwas - allerdings muss ich sagen, das Positive überwiegt.»
Elisabeth liebt Musik, Kunst, Film, Malerei, Literatur und Gärtnern «besonders beeindruckt hat mich der Dokumentarfilm «Thorberg» von Dieter Fahrner, der ja auch in der Nähe der Matte lebt. Ein beeindruckendes Werk, finde ich. Je älter ich werde, brauche ich mehr Erholung und mit Musik hören und machen regeneriere ich mich.»
«Welches Instrument ist dir als Musiklehrerin am nächsten» , möchte ich wissen.
«Klavier und Stimme bevorzuge ich, aber auch Saxofon und Cello mag ich gerne. Ich könnte mir eine Welt ohne Instrumente nicht vorstellen» , schwärmt sie. Ihre Augen leuchten, wenn sie über ihren Beruf als Musiklehrerin spricht. «Ich mag die Musik, weil es auch eine eigene Sprache gibt und wenn Schüler mit der Sprache Mühe haben, dann finden wir hier eine gemeinsame Sprache, die alle verstehen können. «
«Was machst du, wenn du pensioniert bist?»
Sie lacht. «Da habe ich ganz viele Ideen; Lyrik schreiben. Dann, lach nicht, eine Modekollektion entwerfen. Mir wird nicht langweilig und ein wirklich tolles Projekt wäre, wenn ich eine riesen Halle hätte, in der Kinder alles ausprobieren könnte: Malen, töpfern, kochen, Theater spielen, einfach alles, was kreativ ist - ganzheitlich.»
Sie schwärmt und kommt aus dem schwärmen gar nicht mehr heraus. Ich entdecke eine Elisabeth, die voller Elan, voller Pläne, Träume und voller Leben ist. War sie zu Beginn unseres Gesprächs vorsichtig und zurückhaltend ist sie nun sprudelnd und voller Ideen.
Die Zeit rennt uns davon. Inzwischen scheint sogar die Sonne durch die Kastanienbäume, sodass wir nun auch noch das obligate Foto machen können.
Und wer ist Elisabeth nun wirklich? Eine engagierte Lehrerin, der es wichtig ist, die Kinder zu fördern, sie in ihrer Ganzheit zu erfassen - einfach Elisabeth.

Rosmarie Bernasconi