Sven Fäh im Brocki (Foto Nicole Stadelmann)

Nicole samt Kameraausrüstung und ich stehen morgens früh vor dem neu eröffneten Brocki mit der integrierten Poststelle mitten in der Matte. Wir warten ein paar Minuten auf Sven, der das Geschäft leitet. «Exgusez, es ist ja auch noch sehr früh». Das Brocki und die Post öffnet um neun: «Wir geben einfach etwas Gas», sage ich und wir machen es uns am Tisch in der neu umgebauten Post gemütlich, schieben die wunderbaren, alten Tassen etwas auf die Seite, damit wir sie nicht zerbrechen. Nicole macht sich bereits auf die Suche nach dem perfekten Licht, das in diesen abwechslungsreich gestalteten Räumlichkeiten schwierig zu finden ist. Ich unterhalte mich inzwischen mit Sven.
Sven Fäh ist am 22. September 1975 geboren. Die ersten Lebensjahre verbrachte er in Glarus und Schwanden, im wunderschönen Glarnerland. Sven ist ein vielseitiger Mensch, ein Macher, und immer wieder bereit etwas Neues aufzubauen.
Er hat schon zahlreiche Projekte in Angriff genommen und abgeschlossen, alle aufzuzählen würde den Rahmen dieses Porträts sprengen. Sven ist ausgebildeter Tourismusfachman und absolvierte zusätzlich eine Weiterbildung als Fundraiser. Er stellt als selbständiger Berater Konzepte her, die den betreffenden Organisationen helfen, Spendengelder zu generieren. Er arbeitete in dieser Funktion bei mehreren Hilfswerken, beispielsweise bei der Krebsliga Zürich, Pro Senectute, Schweizerisches Rotes Kreuz und vielen anderen mehr. Weitere Projekte werden folgen. Nein, Sven kann man definitiv nicht in eine einzige Schublade stecken.

Je länger ich ihm zuhöre, wird es mir fast schwindlig!

Zudem führte er das Bed-and-Breakfast «Im Klee» in Bern während rund 1 ½ Jahren als Zwischennutzung. Im November 2020 war auch dieses Projekt Geschichte. «Was war deine Motivation, aktuell das Brocki mit Postagentur in der Matte in Angriff zu nehmen?», frage ich ihn.
Sven überlegt einen Moment, bevor er antwortet. «Vor rund zehn Jahren ist meine Mutter gestorben. Ich konnte nichts von ihren Sachen wegwerfen. Es hatte sich tatsächlich einiges angehäuft in ihrem Leben. Zudem sammle ich auch vieles, was in den Lauben «zum Mitnehmen» herumsteht. Auch bekomme ich immer wieder Material angeboten, das irgendwo im Weg herumsteht.»

«Nimmst du alles auf ins Brocki?»

«Nein, nicht alles. Nur was eine Geschichte hat und alt ist. Ich bin quasi in einem Brocki aufgewachsen und habe «das Alte» im Gspüri. Eine gebrauchte Matratze würde ich nicht annehmen», lacht er verschmitzt.

«Wie kamst du dazu, die Post hier zu integrieren?»

«Durch das Schreiben von Alec von Graffenried, da habe ich mich sehr schnell entschieden und mit der Post Verbindung aufgenommen. Wir haben geplant, die Post wurde umgebaut und saniert.»
Das MattePostBrocki ist wirklich liebevoll eingerichtet. Man schaut sich um und sieht immer wieder etwas, das man sicher schon irgendwo mal gesehen hat. Die alte Schreibmaschine, die schönen Tassen … Nicole tänzelt immer noch durch den Raum hin und her und sucht nach wie vor nach dem perfekten Licht. «Wieso hast du dich für die Matte entschieden?» «Denise, meine Part-
nerin, und Lilly meine Tochter leben in der Matte. So bin ich in ihrer Nähe. Ich wohne in Biel. Zudem eröffnete sich die Möglichkeit, die ehemalige Poststelle zu mieten.» «Was siehst du für Chancen mit dem Brocki und der Post zusammen?»
«Ich möchte im MattePostBrocki Menschen integrieren und diesen eine Möglichkeit geben, dass sie wieder in den Arbeitsprozess einsteigen können. Es ist auch ein soziales Engagement», betont er. «Dank dem parallelen Postbetrieb habe ich eine gewisse finanzielle Sicherheit für dieses Projekt.»
«Wie nimmt die Mattebevölkerung das neue Angebot wahr?», frage ich weiter.
«Ich glaube, die meisten sind dankbar, dass es endlich wieder eine Poststelle in der Matte gibt.» «Das kann ich bestätigen», ergänze ich.
«Geld einzahlen geht aus Sicherheitsgründen nicht, aber sonst können die wichtigsten Postgeschäfte hier getätigt werden.»

«Freiwillige Mitarbeit ist übrigens auch gefragt», sagt er unvermittelt.

«Wer Lust hat, sich regelmässig bei uns einzusetzen, kann sich einfach bei mir per Mail melden: MattePostBrocki@ charotel.ch. Auch Material kann man vorbeibringen oder das Webformular auf der Webseite ausfüllen und ein Bild vom angebotenen Gegenstand schicken. Wir nehmen aber nicht alles, sondern sind bedacht, ein gutes und qualitativ hochstehendes Angebot zu bieten. Wir wollen uns von den „Alltags-Brockis” abgrenzen.»
«Übrigens, Sven, was wirst du als nächste Ausbildung in Angriff nehmen?» frage ich lachend.
«Räumungsfachmann oder Möbelrestaurator», sagt er, ohne zu zögern.
Wir dürfen gespannt sein, wie sich das Brocki
und die Post entwickeln werden. Schön, dass es ein weiteres attraktives Angebot im Quartier gibt.
Unsere Zeit ist schon vorbei es ist 09.00 geworden und kaum öffnet sich die Türe ist Sven gefordert. Die ersten Kunden strömen herein.
Inzwischen hat Nicole den idealen Kamerastandort gefunden und nun wartet sie auf Sven, das Model. Die Kunden sind bedient, Nicole hat die Bilder im Kasten und wir verabschieden uns.

Vielen herzlichen Dank Sven für deine Zeit und danke für dein Engagement.


Charôtel: Wir integrieren langzeitarbeitslose Menschen in der Schweiz. Das entnehme ich auf seiner Homepage charotel.wordpress.com - weitere Infos finden Sie auf auch auf www.gluecksfaeh.ch  oder
MattePostBrocki.ch

Text: Rosmarie Bernasconi Bild: Nicole Stadelmann