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Zur Geschichte der Illustrationen von Max Läubli (1932-2018) im Schulhaus Matte Bern
Zu Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts beschäftigte sich die Öffentlichkeit mit der unseligen Geschichte um die Aktion „Kinder der Landstrasse“, einem Projekt der Stiftung Pro Juventute, das in der Zeit zwischen 1926 und 1976 unter Billigung und mit Unterstützung der Behörden in der Schweiz lief. Das Ziel der Aktion war, Kinder von Randgruppen der Bevölkerung, insbesondere von Fahrenden, Jenischen und damals noch unter dem Begriff Zigeuner gemeinten Menschen aus dem Familienverband zwangsweise herauszunehmen und sie in Heimen, psychiatrischen Kliniken oder bestenfalls in sogenannt „ordentlichen“ Familien unterzubringen. Verdingarbeit, Umerziehungsprogramme, gar Sterilisationen sollten aus den „verwahrlosten“ Kindern normale Glieder der Gesellschaft machen und gleichzeitig die fahrende Bevölkerung dezimieren. In den Medien, wurde die Thematik in den Neunzigerjahren aufgegriffen. Intellektuelle, Künstler, Schrift-steller, Medienschaffende und Politiker engagierten sich für die Aufarbeitung des tristen Kapitels der Schweizer Geschichte.
In der Stadt Bern führte die Schuldirektion informative und kulturelle Veranstaltungen durch. Im Bümplizer „Fellerstock“ sowie an ausgewähltenSchulen fanden Aktionen und Themenwochen mit engagierten Kulturschaffenden und Fachleuten statt. Das Schulamt organisierte die Veranstaltungen, die unter dem damals noch vertretbaren Namen „Zigeunerwochen“ liefen. Die Schule Altstadt-Matte interessierte sich ganz besonders für die Thematik. Eine vierzehntägige Aktion wurde geplant.
Foto Nicole Stadelmann
Der Leiter des Schulamtes hatte den Maler Max Läubli kennengelernt
Dieser war Vorstandsmitglied der „Radgenossenschaft der Fahrenden Schweiz“, stammte selber aus diesen Kreisen und stand eines Tages, zusammen mit dem wirbligen Berner „Zigeuner“-Arzt Dr. Jan Cibula vor der Türe des Schulamts. Der Kontakt zur Matte-Schule wurde hergestellt. Die Projekt-Idee entstand: Läubli sollte während vierzehn Tagen in den Klassen mit Lehrern und Kindern zum aktuellen Thema arbeiten. Die Stadtgärtnerei stellte unkompliziert eine Art Wohnwagen neben das Matte-Schulhaus. Darin wohnte Läubli während der Zeit seines Auftrages und zog die Aufmerksamkeit der Bevölkerung, insbesondere der Kinder auf sich. Für die Schulkinder war er ein interessanter väterlicher Freund und Lehrer. Sie malten und gestalteten unter seiner Anleitung während des Unterrichts. Das Thema „Kinder der Landstrasse/Fahrende/Zigeuner“ wurde eifrigst diskutiert. Die Idee, Läubli möchte im Schulhaus etwas Bleibendes hinterlassen entstand.
Die Schuldirektion beauftragte Läubli umgehend, Entwürfe auszuarbeiten und die Arbeiten im grossen Tagesschul-Raum durchzuführen. Die Finanzen für den Auftrag flossen aus Krediten der Schuldirektion. Der damalige Leiter des Schulamtes, Initiant der „Zigeunerwochen“ und des „Projektes Läubli“, hatte freilich den Kompetenzbereich der städtischen Kulturkommission, die für den Bereich „Kunst am Bau“ zuständig war und bereits einen Auftrag für das Matte-Schulhaus vorgesehen hatte, nicht berücksichtigt, was zu entsprechenden Reaktionen führte. Der Leiter des Schulamtes hielt am Projekt Läubli fest und verteidigte es, weil es schulhausbezogen, qualitativ hochstehend, kindgerecht und aus einem ortsbezogenen Zusammenhang heraus entstanden und letztlich im „Hoheitsgebiet“ der Schuldirektion und mit deren finanziellen Mitteln beglichen werden konnte. Läubli arbeitete an seinem Werk, stets begleitet von Kindern und der Lehrerschaft. Ein kleines Volksfest in der Matte an dem auch diverse Stadträte und Stadträtinnen teilnahmen schloss die Zigeunerwochen ab. Viele Jahre später wurde die Renovation und Neugestaltung der Matte-Schulhäuser aktuell.
Im Sommer 2022 erhielt ich überraschend einen Telefonanruf der Kulturabteilung der Stadt Bern.
Man interessierte sich um die Vorgeschichte und deren Bedeutung von Läublis Illustrationen im Matte-Schulhaus. Offenbar wusste niemand in der Stadtverwaltung mehr Bescheid. Der ehemalige Leiter des Schulamtes konnte noch Auskunft geben. Ich gab der Dame der Kulturabteilung ausführliche Informationen und versuchte, dahin zu wirken, dass der Wert der Illustrationen anerkannt und diese
möglichst erhalten würden. Die Ausführungen wurden freundlich zur Kenntnis genommen. Über die weitere Entwicklung blieb ich im Ungewissen und hörte nichts mehr von der Sache. Ende April 2023 sickerte die Information durch, dass eine Restauratorin an der Arbeit sei, mit dem Auftrag, die Illustrationen zu erhalten und zu restaurieren. Am 1. Mai 2023 konnte ich mich vor Ort von den im Gange befindlichen Arbeiten einer qualifizierten Restauratorin persönlich überzeugen.
Ende gut alles gut? Bei aller Freude über die Rettung des kostbaren Überbleibsels der „Zigeunerwochen“ von 1992 bleibt ein leises Bedauern, dass Teile von Läublis Illustrationen im Rahmen der Schulhaus-Renovation durch Zerteilung, Überdeckung beeinträchtigt worden sind.
Urs Marc Eberhard, Leiter des Schulamtes der Stadt Bern 1968-1995